Stellungnahme vom 28.02.2023

Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (COM(2022) 702 final)

Zusammenfassung

Der Richtlinienvorschlag enthält weitreichende Mindestharmonisierungsvorgaben zum Insolvenzanfechtungsrecht. Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung soll dabei auf ihre Vollendung abgestellt werden (Art. 4 RL-E sowie Erwägungsgrund 5). Insoweit sollte in Art. 4 RL-E, orientiert an § 140 Abs. 2 InsO, dringend klargestellt werden, dass die Mitgliedstaaten bei Rechtsgeschäften, für deren Wirksamwerden eine Eintragung in das Grundbuch oder in vergleichbare Register erforderlich ist, den anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt auf den des Antrags auf Eintragung vorverlegen können (A.). Ist zur Sicherung eines Anspruchs ein Antrag auf Eintragung einer Vormerkung gestellt worden, so sollten die Mitgliedstaaten für den anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt auch an diese Antragstellung anknüpfen können (B.).

 

Im Einzelnen:

A. Zeitpunkt der Vollendung bei eintragungsbedürftigen Rechtsgeschäften

I. Grundregel des Eintritts der rechtlichen Wirkung

Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist ein Rechtserwerb zulasten der Insolvenzmasse grundsätzlich ausgeschlossen. Rechtshandlungen, die zeitlich vor die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fallen, können unter bestimmten Bedingungen anfechtbar sein. Die Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts hat damit Auswirkungen auf die Fragen, ob eine Handlung vor oder nach der Verfahrenseröffnung erfolgte, ob eine Handlung im anfechtungsrelevanten Zeitraum erfolgte und welcher Zeitpunkt maßgeblich ist für die Bestimmung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Anfechtung. Die Festlegung des Zeitpunkts dient insofern maßgeblich der Rechtsklarheit.

Bei der Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts handelt es sich um eine Wertungsfrage, bei der einerseits das Interesse der Gläubiger an einer möglichst umfangreichen und gleichmäßigen Befriedigung und andererseits das berechtigte Vertrauen des Geschäftsverkehrs auf den Bestand einer Rechtshandlung abgewogen werden. An diesen Kriterien orientiert sich auch der vorliegende Kommissionsvorschlag einer Richtlinie (vgl. Erwägungsgrund 7). Nach Art. 4 RL-E stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Rechtshandlungen angefochten werden können, die vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vollendet wurden.

Das deutsche Insolvenzrecht stellt bislang nach § 140 Abs. 1 InsO auf den Zeitpunkt ab, in dem eine Rechtshandlung als „vorgenommen“ im Sinne des Anfechtungsrechts gilt. Zeitpunkt der Vornahme ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem ihre rechtliche Wirkung eintritt. Die rechtliche Wirkung einer Rechtshandlung tritt ein, sobald sämtliche Voraussetzungen vorliegen, an welche die Rechtsordnung die Entstehung, Aufhebung oder Änderung eines Rechtsverhältnisses knüpft.

Entsprechend dem in Deutschland geltenden Trennungs- und Abstraktionsprinzip wird dabei zwischen dem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft und einem eventuell dinglichen Rechtsgeschäft unterschieden: Ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft gilt mit Abschluss des Rechtsgeschäfts als vorgenommen. Beispielsweise gilt ein schuldrechtlicher Kaufvertrag (Verpflichtungsgeschäft) als vorgenommen, sobald dieser durch Angebot und Annahme geschlossen worden ist und seine Wirksamkeit nicht von weiteren Voraussetzungen abhängt. Bei Verfügungsgeschäften ist die Erfüllung des letzten für die Rechtsänderung erforderlichen Tatbestandsmerkmals maßgeblich. Beispielsweise ist für die Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll (§ 929 Satz 1 BGB). Das Verfügungsgeschäft gilt mithin nicht bereits mit der dinglichen Einigung als vorgenommen, es muss zusätzlich die Übergabe erfolgt sein.

Grundsätzlich kann daher davon ausgegangen werden, dass das im Entwurf der Richtlinie vorgeschlagene Abstellen auf den Zeitpunkt der „Vollendung“ der jeweiligen Rechtshandlung der momentanen Wertung des deutschen Gesetzgebers entspricht.

II. Sonderfall der eintragungsbedürftigen Rechtsgeschäfte

Anders verhält es sich, wenn die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der Eintragung in ein öffentliches Register abhängt. Hier ist eine Klarstellung in dem Entwurf der Richtlinie dringend geboten:

Manche Rechtsgeschäfte bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in ein Register. In der Regel handelt es sich dabei um die letzte Tatbestandsvoraussetzung, die für das Wirksamwerden eines Verfügungsgeschäfts erforderlich ist. Hierunter fällt insbesondere der Erwerb des Eigentums an einer Immobilie, die Belastung einer Immobilie oder der Erwerb eines Rechts an einer Immobilie, die zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Grundbuch bedürfen, § 873 Abs. 1 BGB. Die rechtliche Wirkung des Verfügungsgeschäfts tritt in diesen Fällen erst mit Eintragung in das jeweilige Register ein, ist mithin erst mit Eintragung vollendet.

Die Eintragung ist jedoch als maßgeblicher anfechtungsrechtlicher Zeitpunkt ungeeignet:

Der Erwerber hat auf die Dauer des behördlichen Verfahrens zur Eintragung keinen Einfluss. Je nach Geschäftsanfall und personeller Ausstattung der Behörde kann zwischen der Stellung des Antrags auf Eintragung einer Rechtsänderung und seiner Erledigung ein erheblicher Zeitraum liegen. Erledigungsdauern von mehreren Monaten bis zu Jahren sind nicht unüblich. Eine Verzögerung der Eintragung im behördlichen Betrieb darf dem Erwerber aber nicht zum Nachteil gereichen. Diesem Rechtsgedanken tragen unter anderem § 878 BGB, § 873 Abs. 2 BGB, § 3 Abs. 2 SchiffsRG und § 5 Abs. 2 LuftfRG Rechnung. Um das berechtigte Vertrauen des Erwerbers auf den Bestand der Rechtshandlung zu schützen, muss daher auch als anfechtungsrechtlich maßgeblicher Zeitpunkt auf dessen Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung abgestellt werden, wenn es sich dabei um die letzte erforderliche Tatbestandsvoraussetzung zur Umschreibung handelt und der Schuldner sich nicht mehr einseitig von dem Rechtsgeschäft lösen kann, seine Willenserklärung mithin für ihn bindend geworden ist. Ein Abstellen auf die Registereintragung als für das Anfechtungsrecht maßgeblichen Zeitpunkt wäre für den Erwerber des Rechts hingegen willkürlich und ungerecht. Der Erwerber trüge einseitig das Risiko von zufälligen Verzögerungen im Behördenbetrieb, den er nicht überwachen oder beeinflussen kann.

Auch im Interesse des Rechtsverkehrs ist im Sinne der Rechtsklarheit auf den Zeitpunkt des Antrags auf Eintragung der Rechtsänderung abzustellen. Der gewählte Zeitpunkt ist maßgeblich für die Berechnung der Anfechtungsfristen und muss entsprechend leicht feststellbar sein. Andernfalls leidet die Verkehrsfähigkeit von Immobilien erheblich. Auch die kautelarjuristische Gestaltung von Immobilienverträgen ist auf die einfache und sichere Bestimmbarkeit entsprechender Zeitpunkte angewiesen. Während der Zeitpunkt der Vornahme der Eintragung von behördeninternen Abläufen abhängt, ergibt sich der Zeitpunkt der Antragstellung leicht durch Einsichtnahme in die entsprechende Akte.

Aus diesen Gründen stellt das deutsche Insolvenzrecht nach § 140 Abs. 2 Satz 1 InsO in diesen Fällen auf den Antrag des Erwerbers auf Eintragung der Rechtsänderung ab. Der vorliegende Vorschlag einer Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts sieht eine solche Ausnahme in Art. 4 RL-E hingegen noch nicht vor. Da es sich um eine Mindestharmonisierung handelt, wäre es den Mitgliedstaaten auch voraussichtlich nicht möglich, entsprechende Ausnahmen für mehraktige Rechtshandlungen vorzusehen, die der Eintragung in ein Register bedürfen.

Eine § 140 Abs. 2 Satz 1 InsO entsprechende Ausnahme sollte in Art. 4 RL-E unbedingt aufgenommen werden, um den Mitgliedstaaten ein Anknüpfen an den Antragszeitpunkt auch weiterhin zu ermöglichen.

 

B. Zeitpunkt der Vollendung bei vormerkungsgesicherten Ansprüchen

Zur Sicherung des Anspruchs auf Einräumung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder an einem dinglichen Recht kann eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen werden, § 883 Abs. 1 Satz 1 BGB.[1] Verfügungen, die nach der Eintragung der Vormerkung getroffen werden, sind unwirksam, soweit sie den Anspruch beeinträchtigen oder vereiteln würden, § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB. Dabei ist entsprechend § 878 BGB auf den Zeitpunkt des Antrags auf Eintragung der Vormerkung abzustellen. Die Vormerkung dient der Absicherung des Erwerbers und trägt der Tatsache Rechnung, dass zwischen dem Abschluss des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts und der Vollendung der Rechtsänderung in der Regel ein längerer Zeitraum liegt (vgl. oben A.). Die Vormerkung ermöglicht den Beteiligten in der Praxis eine rechtssichere, risikoarme und zügige Abwicklung von Grundstücksgeschäften. Beispielsweise kann bei einem Grundstückskauf in der Regel der Kaufpreis fällig gestellt werden und die Besitzübergabe erfolgen, sobald eine Eigentumsvormerkung zugunsten des Erwerbers im Grundbuch eingetragen ist. Die Vormerkung ist insolvenzfest, § 106 InsO.

Damit die Vormerkung ihre materiellrechtliche Wirkung entfalten kann, muss auch hinsichtlich des anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkts nicht auf den Antrag auf Rechtsänderung, sondern bereits auf den Antrag auf Eintragung der Vormerkung abgestellt werden. Andernfalls ginge die in der Regel zwischen Eintragung der Vormerkung und Umschreibung des Eigentums liegende, lange Zeitdauer zulasten des Erwerbers, ohne dass dieser hierauf einen Einfluss hätte. Außerdem würde die Verkehrsfähigkeit von Grundstücken erheblich leiden. 

Das deutsche Insolvenzrecht stellt deshalb nach § 140 Abs. 2 Satz 2 InsO in diesen Fällen auf den Antrag des Erwerbers auf Eintragung der Vormerkung ab. Der vorliegende Vorschlag des Art. 4 RL-E erlaubt den Mitgliedstaaten eine solche Ausnahme hingegen nicht.

Auch insoweit sollte Art. 4 RL-E um eine § 140 Abs. 2 Satz 2 InsO entsprechende Ausnahme ergänzt werden, um den Mitgliedstaaten auch weiterhin zu ermöglichen, bei Ansprüchen, zu deren Sicherung eine Vormerkung eingetragen wird, bereits auf den Antrag auf Eintragung der Vormerkung als anfechtungsrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen.

 

[1] Vormerkungen können ferner Ansprüche im Zusammenhang mit eingetragenen Schiffen (§§ 10 ff. SchiffsRG) oder Schiffsbauwerken (§ 77 Satz 2 SchiffsRG) sowie mit Luftfahrzeugen (§§ 10 ff. LuftfRG) sichern.




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