Stellungnahme vom 28.11.2023

Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz

Zusammenfassung:

Die Bundesnotarkammer begrüßt das Ziel des Referentenentwurfs, die Digitalisierung in der Justiz weiter zu fördern. Ein Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs fördert die Effizienz gerichtlicher Verfahren im Sinne aller Beteiligten, insbesondere auch der Bürgerinnen und Bürger. Die Einführung von Videokonferenztechnik auch in der Revisionshauptverhandlung kann dazu dienen, gerichtliche Verfahren zu beschleunigen und unnötigen Reiseaufwand zu vermeiden. Gleichzeitig dürfen Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung nicht dazu führen, dass die Integrität rechtsstaatlicher Verfahren sowie der durch Formvorschriften bezweckte Schutz der Bürgerinnen und Bürger gefährdet werden.

Die Anbindung der OZG-Nutzerkonten auch an den elektronischen Rechtsverkehr ist im Interesse eines möglichst breiten digitalen Zugangs zur Justiz grundsätzlich zu begrüßen. Eine Identifizierung mittels ELSTER-Zertifikat ist allerdings nicht hinreichend sicher. Um ein Absenken des etablierten Sicherheitsniveaus im elektronischen Rechtsverkehr zu vermeiden, sollte die Identifizierung mittels ELSTER nicht auf den elektronischen Rechtsverkehr übertragen werden. Selbst für den Nachweis der Identität eines Nutzers im einheitlichen OZG-Organisationskonto soll dieses Verfahren nach dem OZG-Änderungsgesetz[1] nur noch für einen Übergangszeitraum zugelassen werden (A.I). Die Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen gewährleistet nicht die notwendige Authentizität und Integrität der enthaltenen Erklärungen für den Rechtsverkehr und vermischt prozessuale und materiell-rechtliche Anforderungen. Die vorgesehene Fiktion sollte daher in dieser Form gestrichen werden (A.II.1). Für die in § 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO-E vorgesehene Lockerung des prozessualen Schriftformerfordernisses besteht nach hiesiger Einschätzung kein Bedürfnis (A.II.2).

Hinsichtlich der audiovisuellen Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung regen wir an, die technischen Sicherheitsanforderungen an die zum Einsatz kommenden Videokonferenzsysteme zu normieren (B.). Das im Einklang mit der Digitalstrategie der Bundesregierung geplante bundesweit einheitliche Videoportal der Justiz, das vom Bundesministerium der Justiz zusammen mit den Ländern und den Bundesgerichten entwickelt wird, erscheint insoweit zukunftsweisend und uneingeschränkt begrüßenswert.[2]

Im Einzelnen:

A. Anpassungen im Elektronischen Rechtsverkehr

Der Entwurf enthält verschiedene Anpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs, welche die Digitalisierung in der Justiz weiter fördern sollen. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Wir weisen allerdings auf die im Folgenden dargestellten Punkte hin.

I. Artikel 43 des Referentenentwurfs: Identifizierung mittels ELSTER-Zertifikat im elektronischen Rechtsverkehr (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ERVV-E)

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 ERVV-E soll es für die Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg aus dem Postfach eines OZG-Nutzerkontos künftig ausreichen, wenn sich die Nutzerin oder der Nutzer eines Organisationskontos durch ein ELSTER-Zertifikat identifiziert hat. Diese Änderung erfolge im Interesse eines möglichst breiten elektronischen Zugangs zur Justiz.[3]

Die Anbindung der OZG-Nutzerkonten an den elektronischen Rechtsverkehr erweitert die Möglichkeiten eines digitalen Zugangs zur Justiz für die Bürgerinnen und Bürger und für Organisationen. Sie kann den Zugang außerdem vereinfachen, weil auf das Nutzerkonto zurückgegriffen werden kann, welches zur Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen möglicherweise ohnehin bereits eingerichtet ist. Die Anbindung der OZG-Nutzerkonten ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen.

Das im OZG-Kontext zur Identifizierung (vorübergehend) zugelassene ELSTER-Zertifikat ist allerdings nicht hinreichend sicher. Es bietet keinen hinreichenden Authentizitätsschutz, um die prozessuale Schriftform ersetzen zu können. Die Zulassung des ELSTER-Zertifikats als Identifizierungsmethode ist außerdem nicht notwendig, um Organisationen an den elektronischen Rechtsverkehr anzubinden. Es wird deshalb angeregt, diese Identifizierungsmethode für die Anerkennung eines sicheren Übermittlungswegs zu streichen.

Für den Erhalt der ELSTER-Zertifikatsdatei ist es lediglich erforderlich, sich mit persönlichen Daten (insbesondere Steuernummer und E‑Mail‑Adresse) zu registrieren. Anschließend ist die angegebene E-Mail‑Adresse über einen zugesendeten Link zu bestätigen. Nach Bestätigung der E-Mail-Adresse werden die Aktivierungsdaten auf dem Postweg an die bei der Finanzverwaltung gespeicherte Anschrift übermittelt. Der letztgenannte Schritt soll sicherstellen, dass ausschließlich berechtigte Personen einen Zugang für eine Organisation erstellen können. Nach Abschluss der Registrierung kann die Zertifikatsdatei heruntergeladen werden.[4] Eine rechtssichere Identifizierung findet damit nicht statt. Für eine erfolgreiche Identitätstäuschung müsste lediglich die Steuernummer bekannt sein und die Post an die bei der Finanzverwaltung hinterlegte Anschrift abgefangen werden.

Darüber hinaus handelt es sich bei den ELSTER-Zertifikatsdateien um bloße Softwarezertifikate, die leicht und beliebig häufig kopiert werden können, ohne dass dies für den Zertifikatsinhaber bemerkbar wäre. Zwar ist das Zertifikat durch ein persönliches Passwort geschützt. Dieses kann allerdings umgangen werden, beispielsweise unter Einsatz von „Brute‑Force-Angriffen“.

Eine Identifizierung mittels ELSTER-Zertifikatsdatei erreicht deshalb nach Auffassung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Prof. Ulrich Kelber, nicht einmal das Vertrauensniveau „substanziell“ i.S.d. eIDAS-Verordnung.[5] In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am 9. Oktober 2023 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes wies dieser zudem auf die Bedeutung hoher Ansprüche an die IT-Sicherheit bei der Digitalisierung hin und führte ausdrücklich aus, dass Zugänge wie das ELSTER-Zertifikat „nicht zukunftsführend“ seien.[6] Vor diesem Hintergrund sieht auch der entsprechende Regierungsentwurf zu Recht vor, dass die Identifizierung mittels ELSTER-Zertifikat nurmehr für einen begrenzten Übergangszeitraum von fünf Jahren genutzt werden darf.[7]

Die Anerkennung der Identifizierung mittels ELSTER-Zertifikat für eine Übermittlung auf dem sicheren Übermittlungsweg würde den im Rahmen des sicheren Übermittlungsweg bezweckten Authentizitätsschutz also erheblich entwerten. Damit ein elektronisches Dokument die prozessuale Schriftform ersetzen kann, müssen die Authentizität und die Integrität des Dokuments gewährleistet sein, vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 ZPO. Die Authentizität im elektronischen Rechtsverkehr setzt aber voraus, dass die Postfachinhaber sicher identifiziert werden und dass ein Identitätsmissbrauch ausgeschlossen ist. Die Justiz hat sich im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs in den vergangenen Jahren erfolgreich um die Gewährleistung der Integrität und Authentizität der übermittelten Nachrichten bemüht. Diese jahrelangen Bemühungen um einen hohen Sicherheitsstandard sollten nicht durch die Zulassung einer unsicheren und selbst im OZG-Kontext nur vorübergehend anerkannten Identifizierungsmethode konterkariert werden.

Gleichzeitig ist diese Identifizierungsmethode nicht notwendig, um Organisationskonten an den elektronischen Rechtsverkehr anzubinden. Organisationen oder Unternehmen können sich dafür mit einem qualifizierten elektronischen Siegel identifizieren, § 13 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ERVV. Qualifizierte elektronische Siegel sind durch die eIDAS-Verordnung europarechtlich anerkannt und einheitlich reguliert, gewähren die Authentizität der versendeten Nachrichten auf dem Vertrauensniveau „hoch“ und sind flächendeckend verfügbar.[8] Alternativ können sich Organisationen und Unternehmen ein eBO einrichten und dann zusätzlich auf das Identifizierungsverfahren nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ERVV zurückgreifen.

II. Artikel 13 des Referentenentwurfs

1. Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen (§ 130e ZPO-E und Parallelvorschriften)

Nach § 130e ZPO-E und den Parallelvorschriften in § 46h ArbGG-E, § 65e SGG-E, § 55e VwGO-E und § 52e FGO-E soll eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die materiell-rechtlich der schriftlichen oder der elektronischen Form bedarf, als in dieser Form zugegangen gelten, wenn sie in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten war, der als elektronisches Dokument nach § 130a ZPO bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder mitgeteilt wurde. In der Entwurfsbegründung wird weiter ausgeführt, die Fiktion des formgerechten Zugangs schließe diejenige der formgerechten Abgabe ein.[9] Zur Erfüllung materiell-rechtlicher Schriftformerfordernisse würde es also – entgegen §§ 126, 126a BGB – auch ausreichen, wenn der Schriftsatz nur einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg übermittelt wurde, § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO. Dies würde – da sich die Fiktion auch auf die Erfüllung der schriftlichen Form erstreckt – selbst dann gelten, wenn die elektronische Form gemäß § 126 Abs. 3 a. E. BGB kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.

Die Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen gewährleistet nicht die notwendige Authentizität und Integrität der enthaltenen Erklärungen für den Rechtsverkehr und vermischt prozessuale und materiell-rechtliche Anforderungen. Es wird daher angeregt, die Formfiktion in dieser Form zu streichen.

Im Vordergrund eines materiell-rechtlichen Schriftformerfordernisses steht regelmäßig die Warnfunktion, insbesondere der Schutz des Erklärenden vor einer übereilten Bindung.[10] Daneben haben Schriftformerfordernisse auch eine Beweis- und Dokumentationsfunktion.

Der primäre Übereilungsschutz wird aber nicht durch den Zugang einer authentizitäts- und integritätsgeschützten Erklärung beim Empfänger, sondern allein durch die formgerechte Abgabe der Willenserklärung gewährleistet. Der Akt der formgerechten Errichtung der Erklärung schützt den Erklärenden davor, die Erklärung übereilt abzugeben und sich verfrüht zu binden. Soweit in der Entwurfsbegründung insoweit ausgeführt wird, die Formfiktion sei auch mit Blick auf die den materiell-rechtlichen Formerfordernissen beigegeben Zwecken zu rechtfertigen, weil die Identität des Erklärenden hinreichend sicher und nachprüfbar und die Integrität geschützt sei,[11] lässt dies die primäre Warnfunktion des materiell-rechtlichen Schriftformerfordernisses außer Acht. Dem Übereilungsschutz wird dadurch Rechnung getragen, dass der Erklärende die formbedürftige Willenserklärung entweder bewusst unterschreibt (§ 126 BGB) oder qualifiziert elektronisch signiert (§ 126a BGB). Das Prozess- und das materielle Recht stellen insoweit unterschiedliche Anforderungen an das Schriftformerfordernis. Die Einführung des § 130e ZPO-E würde nun die prozessuale Schriftform über die Hintertür in das materielle Recht überführen. Die Voraussetzungen der §§ 126 f. BGB kämen nicht mehr zur Geltung.

Unabhängig davon wird auch die Beweis- und Dokumentationsfunktion durch die beabsichtigte Formfiktion beeinträchtigt. Formvorschriften dienen auch dem Schutz des Erklärungsempfängers. Dieser muss sich Gewissheit über die Wirksamkeit der Erklärung verschaffen und ein Beweismittel hierüber erlangen können. Eine etwa an einer Kündigungserklärung angebrachte qualifizierte elektronische Signatur (§ 126a BGB) kann der Empfänger mit frei verfügbaren Signaturprüfungsanwendungen überprüfen. Dem Dokument selbst lässt sich die Einhaltung der materiell-rechtlichen Formvorschriften entnehmen.

Eine im Rahmen eines Prozesses stattgefundene Übermittlung der Kündigungserklärung auf einem sicheren Übermittlungsweg an das Gericht mit anschließender (formloser) Mitteilung an den Empfänger kann dagegen nicht ohne Sonderwissen über die Prozessabläufe nachvollzogen werden. Für den Rechtsverkehr dürfte jedoch anhand der Prozessakten und der weder unterschriebenen noch qualifiziert elektronisch signierten Erklärung nicht ersichtlich sein, ob die Voraussetzungen der Fiktionswirkung vorliegen.

Schließlich würde die Formfiktion zu Friktionen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr führen. Die schriftformersetzende qualifizierte elektronische Signatur (§ 126a BGB) ist durch die eIDAS-Verordnung unionsrechtlich einheitlich geregelt, die Einhaltung der Schriftform kann hier also auch im Ausland ohne Weiteres nachvollzogen werden. Eine schriftformersetzende Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach den Vorgaben der jeweiligen Prozessordnung ist im Ausland demgegenüber unbekannt. Der Nachweis der Einhaltung der Schriftform aufgrund der Formfiktion dürfte deshalb auch im Ausland nicht geführt werden können.

2. Übermittlung bloßer Scans von schriftlich einzureichenden Beteiligten- oder Dritterklärungen (§ 130a Abs. 3 Satz 3 ZPO-E und Parallelvorschriften)

Nach § 130a Abs. 3 Satz 3 ZPO-E und den Parallelvorschriften in § 32a Abs. 3 Satz 2 StPO-E, § 46 Abs. 3 Satz 3 ArbGG-E, § 65a Abs. 3 Satz 3 SGG-E, § 55a Abs. 3 Satz 3 VwGO-E und § 52a Abs. 3 Satz 3 FGO-E soll darüber hinaus ein schriftlich einzureichender Antrag oder eine schriftlich einzureichende Erklärung einer Partei oder eines Dritten künftig auch dadurch eingereicht werden können, dass der unterschriebene Antrag oder die unterschriebene Erklärung eingescannt und durch den Bevollmächtigten, den Vertreter oder den Beistand nach den Vorgaben des Satzes 1 der jeweiligen Vorschrift übermittelt wird. Hierdurch werden die Anforderungen an die prozessuale Schriftform gesenkt. Hiergegen bestehen Bedenken.

Damit ein elektronisches Dokument die prozessuale Schriftform ersetzen kann, müssen die Authentizität und die Integrität des Dokuments gewährleistet sein (vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 ZPO). Es muss also sicher sein, dass die in dem Dokument enthaltene Erklärung von der aus ihr als Aussteller ersichtlichen Person (Authentizität) ohne nachträgliche Veränderungen (Integrität) abgegeben wurde. Der einfache Scan eines unterschriebenen Papierdokuments gewährleistet aber weder, dass derjenige, der aus der eingescannten Unterschrift als Aussteller hervorgeht, diese Erklärung auch tatsächlich abgegeben hat, noch, dass die Erklärung nicht nach ihrer Abgabe manipuliert wurde. Das gilt umso mehr, wenn der Bevollmächtigte, wie in der Entwurfsbegründung ausgeführt, den Scan nicht selbst anfertigen und auch sonst keine Regeln des ersetzenden Scannens einhalten muss.

Für die vorgeschlagene Regelung besteht unabhängig davon auch kein Bedürfnis. Privatpersonen haben bereits heute die Möglichkeit, ihre Erklärungen mittels eines besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs (eBO) oder eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Abs. 5 OZG gemäß § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO auch ohne qualifizierte elektronische Signatur rechtssicher schriftformersetzend zu übermitteln. Darüber hinaus steigen Bedeutung und Verbreitung der qualifizierten elektronischen Signatur stetig an. Mit der Einführung der EUID-Wallet wird die Verwendung qualifizierter elektronischer Signaturen gefördert[12] und auch das Vorhaben im Rahmen des Bürokratieentlastungsgesetz IV, die elektronische Form im Sinne des § 126a BGB zur Regelform werden zu lassen,[13] stärkt deren Bedeutung.

III. Artikel 17 des Referentenentwurfs: Bekanntgabe von Beschlüssen in Abschrift (§ 41 Abs. 1 FamFG-E)

Nach § 41 Abs. 1 FamFG-E werden Beschlüsse den Beteiligten grundsätzlich in Abschrift bekanntgegeben, Ausfertigungen nur auf Antrag und nur in Papierform erteilt. Damit soll klargestellt werden, dass zur Bekanntgabe eines Beschlusses die Übersendung einer beglaubigten Abschrift genüge und es im Regelfall nicht der Erteilung einer Ausfertigung bedürfe. Dadurch werde eine elektronische Bekanntgabe ermöglicht, die nur für (beglaubigte) Abschriften in Betracht komme.[14]

Dieser Änderungsvorschlag wird von der Bundesnotarkammer begrüßt. Er fördert die Digitalisierung und die Effizienz des Verfahrens, indem eine elektronische Bekanntgabe ermöglicht wird. Diese wäre bei der Notwendigkeit einer Ausfertigung ausgeschlossen, weil derzeit kein elektronisches Äquivalent zur papierförmigen Ausfertigung existiert.[15] Es wird lediglich angeregt, in § 41 Abs. 1 FamFG klarzustellen, dass die Bekanntgabe jedenfalls durch Übersendung einer beglaubigten Abschrift erfolgt. Dies entspricht ausweislich der Entwurfsbegründung auch dem Willen des Gesetzgebers.[16] Da § 41 Abs. 1 FamFG, § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FamFG theoretisch auch die Übersendung einer einfachen Abschrift genügen lassen würde, erscheint insofern eine Klarstellung angebracht.

B. Revisionshauptverhandlung per Videokommunikation (§ 350 Abs. 3 StPO-E)

Nach § 350 Abs. 3 StPO-E soll es künftig möglich sein, Angeklagten, Verteidigerinnen und Verteidigern sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Staatsanwaltschaft auf ihren jeweiligen Antrag hin die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung per Videokonferenz zu gestatten. Vorgaben über die technischen Mindestvoraussetzungen und Sicherheitsanforderungen, die das zum Einsatz kommenden Konferenzsystem erfüllen muss, enthält der vorliegende Entwurf allerdings nicht. Auch werden keine Vorgaben zur Identifizierung bzw. Legitimierung der per Videokonferenz teilnehmenden Verfahrensbeteiligten gemacht.

Dies wird der zentralen Bedeutung solcher Verfahren für den Rechtsstaat und der Schutzbedürftigkeit der in diesen Videokonferenzen verhandelten Inhalte nicht gerecht. Ohne entsprechende Vorgaben steht grundsätzlich zu befürchten, dass die Belange des Datenschutzes und der IT-Sicherheit beim Einsatz von Videoübertragungen unterlaufen werden. Denn Revisionshauptverhandlungen betreffen sensible personenbezogene Daten. Die Abwicklung dieser Sachverhalte per Videokonferenz muss daher höchsten technischen Standards genügen. Besondere Bedeutung einer stabilen und sicheren technischen Abwicklung kommt der Revisionshauptverhandlung außerdem schon deshalb zu, weil es sich bei ihr um die letztinstanzliche Verhandlung handelt, nach der materielle und prozessuale Rechtsfehler endgültig ausgeschlossen sein sollen. Die Videokonferenz dient daher der Ausübung rechtsstaatlicher Kernfunktionen. In diesen Fällen muss durch gesetzliche Vorgaben auch ausgeschlossen werden, dass der technische Vollzug unmittelbarer Staatsgewalt der Einflussnahme fremdstaatlicher oder privater Akteure ausgesetzt ist.

Ein digitaler Rechtsstaat muss daher auch Vorgaben zur technischen Umsetzung von Videokonferenzverfahren machen. Rechtsstaatliche Standards werden geschwächt, wenn die Auswahl der für geeignet erachteten Software einer freien Ermessensentscheidung im Einzelfall überlassen wird. Insoweit erscheint es zukunftsweisend und uneingeschränkt begrüßenswert, dass das Bundesministerium der Justiz zusammen mit den Ländern und den Bundesgerichten im Einklang mit der Digitalstrategie der Bundesregierung[17] einen bundesweit einsetzbaren, sicheren Videokonferenzdienst einrichtet, der Bürgerinnen und Bürgern, der Anwaltschaft und Unternehmen einen einheitlichen und sicheren Zugang zur deutschen Justiz ermöglicht. Auch der Deutsche Bundestag hat entsprechend der Empfehlung des Rechtsausschusses am 17. November 2023 einen Beschluss für einen einheitlichen Zugang zu allen Videoverhandlungen der deutschen Justiz gefasst.[18]

 

[1] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG-Änderungsgesetz), BT-Drucks. 20/8093.

[2] Vgl. Digitalstrategie der Bundesregierung, Gemeinsam digitale Werte schöpfen, S. 46; so auch der Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Empfehlung des Rechtsausschusses vom 17. November 2023, BT-Drs. 20/9354, S. 3.

[3] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 62.

[4] Vgl. zur Registrierung im Einzelnen die Anleitung der Finanzverwaltung zur Login‑Option Zertifikatsdatei, abrufbar unter www.elster.de/eportal/helpGlobal, zuletzt abgerufen am 23.11.2023.

[5] Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am 9. Oktober 2023 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes, abrufbar unter www.bundestag.de/ausschuesse/a04_inneres/anhoerungen/969432-969432; dort ab Timecode 43:32, zuletzt abgerufen am 24.11.2023.

[6] A.a.O.

[7] Vgl. § 3 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) OZG-E i.d.F. des Regierungsentwurfs für ein OZG-Änderungsgesetz.

[8] Siehe z.B. das Angebot der D-Trust GmbH unter https://www.d-trust.net/de/loesungen/elektronische-siegel, zuletzt abgerufen am 23.11.2023.

[9] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 50.

[10] Vgl. Einsele in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2021, § 125 Rn. 8 m.w.N.

[11] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 50.

[12] Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines Rahmens für eine europäische digitale Identität (COM(2021) 281 final) S. 4.

[13] Vgl. die Eckpunkte unter www.bmj.de/DE/themen/bessere_rechtsetzung/buerokratieabbau/buerokratieabbau_eckpunkte.html; zuletzt abgerufen am 24.11.2023.

[14] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 51.

[15] Vgl. Danninger/Stepien, DNotZ 2021, 812.

[16] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 51.

[17] Siehe Digitalstrategie der Bundesregierung, Gemeinsam digitale Werte schöpfen, S. 46.

[18] Vgl. BT-Drs. 20/9354, S. 3.




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